Das Friedensdorf in Shkoder / Albanien
Aufruf
an die Jugend zum Schutz der Menschenwürde
von Christine Färber
Die
Würde eines jeden Menschen, unabhängig von Rasse, Geschlecht und Status ist
unantastbar.
Die Achtung der Würde des Menschen ist das Fundament für friedliches
Zusammenleben.
Das Europa des dritten Jahrtausends wartet immer noch auf Einheit,
Gerechtigkeit und stabilen Frieden. Es wartet auf den umfassenden Schutz
jeglicher Menschenwürde, vor allem des Schwächeren.
Die
TeilnehmerInnen der Friedenskonferenz der Jugend bitten die Jugendlichen von
Europa:
Setzt Euch in Eurer Umgebung für die Achtung der Würde des Menschen ein.
Macht keine Unterschiede zwischen Herkunft und Status, sondern tragt die Idee
einer einzigen Menschheitsfamilie in Eure Umgebung.
Seid bereit zum Gewaltverzicht und zur gewaltfreien Konfliktlösung in Eurem
persönlichen sozialen Umfeld.
Tretet furchtlos für den Schutz der Menschenwürde ein.
Schafft furchtlos Öffentlichkeit, wenn Ihr Verletzungen der Menschenwürde
erlebt.
Wir
rufen Euch auf:
"Nehmt Eure grenzenlose
Verantwortung für ein friedliches Europa wahr, damit Ihr Eure Zukunft in
gegenseitiger Solidarität und Freiheit gestalten könnt".
(Friedensdorf
der Jugend, Christine Färber, Friedensdorf Shkoder, Albanien)
Jugend
übernimmt Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte
Die
Jugendkonferenz hat für das begonnene dritte Jahrtausend die Vision eines
friedlichen Europa. Die Verwirklichung der Deklaration der Menschenrechte der
Vereinten Nationen ist Voraussetzung für den Frieden und Ziel jeder
Friedensbemühung.
Krieg
zwischen den Nationen, Bürgerkrieg und ethnische Vertreibungen sind auch im
3. Jahrtausend noch leidvolle europäische Wirklichkeit und stellen eine
elementare Verletzung der Menschenrechte dar.
Körperliche
und seelische Gewalt in jeder Form, vor allem an Kindern, Frauen und
Schwachen, verletzen die Menschenwürde schwer.
Ungerechte
Verteilung der Güter und reduzierter Zugang zum Bildungswesen einzelner,
unterprivilegierter Bevölkerungsschichten verhindern eine menschenwürdige
Entwicklung und teilen Europa in ARM und REICH.
Die
Jugend der Friedenskonferenz als Promotor für den Frieden appelliert an alle
Europäer:
"Setzt
ein Zeichen des Friedens und der Solidarität
Macht die Menschenrechte bekannt.
Seid sensibel für jegliche Missachtung der Menschenrechte.
Habt den Mut, Eure jugendliche Kraft für die Achtung der Menschenrechte
einzusetzen.
Schützt die Menschen, deren Menschenrechte gefährdet sind."
Jede
noch so kleine Bemühung zur Verwirklichung der Menschenrechtsdeklaration ist
wie ein Meilenstein auf dem Weg zum Frieden. Jede kleine Bemühung ist eine
Absage an Gewalt, Spaltung und Verletzung der Menschenwürde.
(Friedensdorf
der Jugend, Christine Färber, Friedensdorf Shkoder, Albanien)
Vision
Ich
habe einen Traum, es ist der Traum von einem Frieden,
der die Menschen eine Sprache sprechen und verstehen lässt.
Liebe ist diese Sprache, die alle Grenzen überwindet
und Mauern des Hasses und der Feindschaft niederreißt.
Dieser
Friede ist in den Herzen der Menschen und fließt als Quelle der Solidarität
mit denen, deren Herz von Sorgen um das tägliche Überleben gequält wird.
Ich träume von einer Solidarität, die nicht etwas vom Überfluss gibt,
sondern Menschen treibt, sich selbst zu geben, ihr Leben zu teilen mit den
Armen, Ausgestoßenen und Schwachen.
Ich träume von einer Solidarität, die so global ist, dass sie Grenzen und
fremde Sprachen vergessen lässt und mit dem Herzen sieht: hier
ist ein Mensch.
Und
ich habe die Vision, dass eines Tages die Menschen frei durch Europa gehen und
die Frage nach Ethnik, Status, Profession und Bankkonto vergessen haben. Eines
Tages - so träume ich - werden sich die Menschen nur noch unter einem
Gesichtspunkt begegnen:
"Es ist gut, dass es dich gibt, komm, wir gehen und fördern das
Leben."
Ich träume noch allein, oder sind wir schon zu zweit?
schreibe
mir! meine eMail: caritassh@albaniaonline.net
(Friedensdorf
der Jugend, Christine Färber, Friedensdorf Shkoder, Albanien)
Brief
2
Fshati i paqes, 10.10.2001
Liebe Familie, Verwandte, Freunde, Bekannte und Ihr alle, die Ihr Euch
interessiert.
Wenn ich jetzt an Euch in der Heimat denke, dann denke ich gleichzeitig
an "Altweibersommer", bunte Wälder, Donaunebel,
wahrscheinlich auch an Regen. Hier haben wir fast noch Sommer mit
mindestens 25 ° C, trotzdem ist es Herbst und ich möchte einen
Herbstgruß an Euch schicken. Für viele von Euch hat der Alltag nach
dem Sommerurlaub wieder begonnen - sofern es diesen Alltag seit dem 11.
September noch genauso gibt wie vorher.
Ich denke, Amerika und das Attentat hat uns alle erschreckend und
schmerzlich auf eine harte Wirklichkeit geworfen: Private Gewalt hat die
ganze Welt in Unsicherheit geworfen; überall ist Leben gefährdet. Wir
haben vom 21. - 25. September trotzdem die geplante erste
Friedenskonferenz der Jugend für ein gemeinsames, friedliches Europa
hier abgehalten. Der 11. Sept. hat es uns allen umso dringender gezeigt:
Friede beginnt im eigenen Herzen, mit dem Akzeptieren des anderen, des
"Fremden", mit dem gemeinsamen
Versuch, mit verschiedenen Kulturen und Religionen den Dialog, das
Gemeinsame und nicht das Trennende zu suchen.
Junge Menschen zwischen 13 und 30 Jahren waren hier im Fshati als "Peacemaker"
verschiedenen Themen und Sichtweisen zur Friedensförderung zu stellen.
In Workshops sind sie dann selbst aktiv geworden, nachdem am Vormittag
Referate gehalten wurden. Was ist das Ergebnis? Ich kann es nicht mit
Fakten und Zahlen benennen. Ich kann nicht sagen: "wir haben jetzt
Frieden". Wir sind nicht in rosaroten und himmelblauen
"Friedenswolken" geschwebt. Dafür haben wir auch hier zuviel
schmerzliche Erfahrungen in diesen Tagen gemacht, wie brüchig der
Frieden in unserer eigenen Umgebung ist. Ja, ich habe erfahren, dass
Menschen, mit denen man lebt, auch denunzieren und plötzlich verachten
können. Auch hier gilt: "aufeinander zugehen, wenn es die einen
nicht können, dann umso mehr man selbst". Wir schwebten und
schweben nicht in rosarot-himmelblauen Friedenswolken, denn dafür ist
die Wirklichkeit viel zu gewaltvoll: hier zählt Ehre, bzw. was man als
"Ehre" definiert viel zu oft mehr als das Menschenleben. Wenn
sich eine Sippe in seiner Ehre, auch nur durch eine Äußerung, verletzt
fühlt, dann berechtigt dies zu lebenslanger Feindschaft bis zur Tötung.
Aber wir durften hier in diesen Tagen erleben, wie die jungen Menschen
nach dem Frieden suchen, wie sie in keinem Fall den Krieg zwischen den
Religionen und Kulturen möchten, wie sie aber auch hilflos und
teilweise verzweifelt vor eigenen Kriegserfahrungen stehen (sie kamen
auch aus Kosovo, Kroatien) allgemein war es großer Wunsch: Es darf hier
nur der Anfang sein, wir brauchen solche "Orte des Friedens",
wir brauchen Möglichkeiten, ins Gespräch zu kommen, uns kennenzulernen,
wir brauchen in Osteuropa die
Öffnung in den Westen, wir brauchen Hilfen zur Bewältigung der
"kriegerischen" Vergangenheit. Neben der Globalisierung in der
Wirtschaft brauchen wir globale Solidarität. Die Jugendlichen haben
sich in den fünf Tagen vielleicht auf einen Konsens einigen können:
"Wir haben nicht einen muslimischen, einen katholischen oder einen
jüdischen Gott, wir haben einen Gott, der die Liebe ist und uns
geschaffen hat. Wir sind nicht in erster Linie Muslime, Christen oder
Juden usw....; wir sind in erster Linie Menschen."
Ich denke, dieser Gesichtspunkt kann und konnte wirklich über manchen
ethnischen und religiösen Unterschied hinweg eine "Einheit"
entstehen lassen. Wir sind uns des winzigen Tropfens auf den sehr sehr
heißen Stein aber sehr bewusst.
Auch wir hier schauen besorgt auf den Krieg in Afghanistan. Opfer ist
wieder Zivilbevölkerung. Eben hat mein Chef von Caritas International
eine Nachricht über die dt. Welle gegeben: "wenn dieser Krieg länger
dauert, ist die humanitäre Katastrophe nicht mehr abzuwenden. Wir haben
bereits jetzt die größte Flüchtlingskrise der Welt in
Afghanistan."
Für mich die blanke Ironie: Bombardements von Amerika, dazu der Abwurf
von Lebensmittelpaketen. (nach dem Motto: feiern wir noch heute, essen
wir noch, denn morgen sind wir tot???). Ich denke vielleicht so, weil
ich noch immer den Kosovokrieg vor mir habe, die Opfer sind mir noch vor
Augen, die Bomben höre ich manchmal auch noch fallen. Bereits jetzt
sind in Afghanistan 7,5 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Hier
ist natürlich Spannung da, wir sind hier in einem Land, wo drei
Religionen sind, wo Muslime mit Katholiken und Orthodoxen zusammenleben.
Wir beten, dass das Zusammensein weiter friedlich bleiben darf, und
nicht Fundamentalisten auf allen Seiten das Wort ergreifen. Für eine
persönliche Erfahrung in diesen fünf Tagen möchte ich noch besonders
danken: ich durfte große Solidarität und Gebetsgemeinschaft in meiner
Heimatgemeinde und mit vielen Menschen der Laienweggemeinschaft und mit
den Schwestern in der Schweiz erleben. Ich durfte mit allen hier
erfahren, wie St. Ursula hier Anteil genommen
hat, wie sich eine Schule mit jungen Leuten entschieden hat, Solidarität
zu zeigen - sogar mit einer Abordnung: Danke Regina und Lena mit Peter.
Ich durfte erleben, wie wir in meinem Blockhaus teilweise zu sechst hier
in großer Harmonie diese Tage lebten, gemeinsam in der Hauskapelle
(auch zu mir ins Haus verlegt) wirklich in Einheit beteten. Ich durfte
mit Lioba und den Schwestern, mit Madelene und Oriana, mit dem deutschen
Botschafter, mit den Professoren Josef und Heinz aus Köln
Lebensgemeinschaft haben und gute Gespräche. Danke. Ja, ich danke Euch
allen, die Ihr Friedensgebete jeden Tag vorbereitet habt und Euch mit
uns verbunden habt. Und da möchte ich Euch bitten: Lasst dies nicht
einmalig sein. Die Welt braucht Euer Gebet um den Frieden, Eure
Bereitschaft zur ständigen Versöhnung. Kein Stoßseufzer zu Gott um
Frieden ist umsonst. Da bin ich überzeugt. Und er bewirkt mehr als eine
Bombe, die vom Himmel fällt. Mit jedem Gebet um Frieden, das aus dem
Herzen kommt, fallen Ströme des Segens vom Himmel.
Sonst geht alles nach der Friedenskonferenz seinen Gang. Eben komme ich
von Tirana. Dort habe ich mit Madelene ein 5 Monate altes Baby
angeschaut, das die Menengitis hatte. Der Kleine hat gerade mal 9 Pfund
und hat natürlich irreversible Schäden. Gezielte Reaktionen konnte ich
nicht feststellen, außer einige Bewegungen. Aber ich denke, man kann
ihm auf Dauer schon einiges entlocken. Die Mutter kommt sobald wie möglich
mit ihm für einige Zeit hierher und bekommt von mir dann gezielte
Anleitung, wie sie trotz allem ihr Kind fördern kann. Hier gibt es
keinerlei Hilfe für diese Eltern, auch keinerlei Förderung für solch
schwerbehinderte Kinder.
Madelene, meine seit August treue Gefährtin aus der Schweiz wird noch
knapp drei Wochen mit mir sein. Ich vermisse sie schon jetzt. Wir
arbeiten unwahrscheinlich gut zusammen und verstehen uns einfach ohne
Worte. Ich bin sehr dankbar, sie bei mir zu haben.
Gestern haben wir eine Familie mit 7 Kindern besucht. Sie kommen aus den
Bergen und leben unter unvorstellbar schlechten Verhältnissen. Auch in
Bezug auf Armut gibt es immer neue Steigerungen. Sie leben einfach nur
in Beton; es regnet in den Rohbau. Dies ist besonders gefährlich, weil
der Vater einige Elektrokabel gelegt hat. Wenn Strom für ein paar
Stunden da ist, versuchen sie, auf einer uralten Elektroplatte zu
kochen. Ich habe ihnen Nahrungsmittelzulage von Spendengeldern geben können.
Ich hoffe, dass wir das Dach noch etwas dicht bekommen. Sonst
bekommen sie einfach über den Winter die TBC. Diese Krankheit schleicht
wirklich wie ein wildes Tier um diese elenden Slums. Vorige Woche ist
ein achtjähriger Junge an offener TBC gestorben. Er war so lange mit
dieser Krankheit in der Schule, bis er einige Tage vor seinem Tod
einfach nicht mehr stehen konnte. Es hat niemand reagiert, als er Blut
hustete. Ich habe dies gestern erfahren. Und nun besuchen wir morgen
noch ein TBC-Kind. Der Kleine liegt angeblich auch im Sterben. Ich habe
dies eben auch erfahren. Vielleicht können wir ihm wenigstens noch
etwas erleichtern. Ich hoffe es so sehr. Von der Präfektur, von den öffentlichen
Stellen wird dies einfach ignoriert; die Gefahr ist einfach verdrängt.
Und die Leute aus den Bergen wissen nichts davon. Sie suchen meistens
gar keinen Arzt auf, weil sie ihn sowieso nicht bezahlen können.
Nun versuche ich, in Kontakt zu kommen. Wir müssen m. E. unbedingt
Aufklärungsarbeit machen. Ich fürchte diesen Winter um etliche Opfer.
Die Menschen sind in diesen Randgebieten gänzlich unterernährt, die
Wohnung ist in der Regel keine Wohnung, sondern ein Wohnloch. Jetzt wird
es bald zu regnen beginnen und kälter werden. Jeden Tag, wo wir noch
Sonne haben, danke ich dem Himmel. Wir sind dabei, auch für die Roma
wenigstens Plastikfolie zu kaufen, um das Nass von oben teilweise
abzuhalten. Wir brauchen Decken, vor allem für die Kinder. Wir nehmen
immer Obst mit, wenn wir nach draußen gehen. Manchen Familien gebe ich
auch das Geld, dass sie selbst Nahrungsmittel kaufen. Das tun sie auch
zuverlässig. Ich weiß nicht, wie oft sie sich satt essen können
(manche nie, diejenigen, die wir besuchen vielleicht mit dem, was wir
gerade bringen).
Und die Blutrache nimmt kein Ende. Während der Friedenskonferenz wurde
ich gebeten, für das italienische Fernsehen mit den
"Blutrachekindern", die hierher ins Kinderhaus kommen, ein
Interview zu geben. Das hat den Kindern Zuversicht gegeben. Nun hat sich
jemand aus dem Ausland für ihre Not interessiert. Es ist das Tabu
zumindest des Schweigens gebrochen. Wir müssen weiter arbeiten. Der
deutsche Botschafter, Herr Frick, möchte nun mit uns eine Konferenz über
Blutrache hier vorbereiten.
Zur Infrastruktur hier halt das Übliche: die schlechtere Jahreszeit
kommt, damit auch die rigorosen Stromkürzungen: von 7.30 - 14.00 oder
16.00 kein Strom, dann mal 2 Stunden, dann jetzt am Abend meist noch bis
23.00 oder 24.00, dann erst ab 6.30. So stehe ich bei Gaslaterne auf; im
Moment ist es noch nicht kalt - Gott sei Dank. Am Wochenende fehlte uns
das Wasser; es ist aber Gott sei Dank wieder reguliert.
Noch was Erheiterndes: kurz vor der Friedenskonferenz kam Oriana hier
an, um mir zu helfen. Ich war in der Früh um 6.00 gerade in der
Kapelle, als Oriana ganz aufgeregt zu mir kam. Die Katze ist ins Haus
gelangt und ganz schnell unter meinem Bett verschwunden. Dort hat sie
ihr erstes Junges in einer wahren Sturzgeburt zur Welt gebracht. Wo?? In
meiner Verbandskiste unter sterilen Mullkompressen. Wir retteten noch,
was wir konnten, brachten sie dann mit der Kiste ins Freie, wo sie dann
noch zwei weitere Junge zur Welt brachte.
Irgendwie habe ich es hier mit Katzen... Inzwischen ist es schon eine
ganze Sippe, die auf Futter wartet. Und die drei Jungen sind alle
rot-weiß.
Dies sind nun wieder ein paar Eindrücke von hier. Ab dem 26. Okt. Darf
ich so für 10 Tage zu "meinen" Schwestern in die Schweiz. Die
paar Wochen vor der Konferenz waren ein bisschen anstrengend. Jetzt
regeneriere ich mich dann noch mal. Ich danke noch mal für Eure Hilfe
und Euer Interesse.
Es grüßt Euch und wünscht Euch den Frieden von Gott und den Segen des
Himmels
Christine
Eben habe ich erfahren, dass in der Nacht in Durres ein Priester mit 12
Messerstichen getötet wurde...